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  • 04.06.2021

Wildalm

Bloß nicht dran vorbeilaufen: Alm-Kino, Kamin-Feuer und Käse-Kunst auf der Wildalm. Auf Entdeckungsreise oberhalb von Fieberbrunn im Pillerseetal!

 

Die Gefahr ist groß, dass man die Wildalm einfach links liegen lässt. Eine Hütte am Wegesrand eben. Und laut Schild nur noch eine Stunde bis zum Wildseeloderhaus, das in 1854 Meter Höhe am Berg thront. Schnell nach oben, vielleicht ist das Ruderboot noch frei, mit dem man eine Runde über den Wildsee drehen kann, der zu den schönsten Bergseen im gesamten Alpenraum gehört. So machen es die meisten, die sich fürs Wandern oberhalb von Fieberbrunn im Pillerseetal entscheiden. Wer frei nach dem Motto „Planlos geht der Plan los“ unterwegs ist und sich Muße für Entdeckungen am Wegesrand gibt, findet auf der Wildalm ein echtes Kleinod. Eine Hütte aus dem 17. Jahrhundert. Mit Alm-Kino, Bibliothek und offenem Kamin, gutem Käse zum Mitnehmen. Völlig unerwartet. Zwei Freunde haben sich einen Traum erfüllt. Jeder auf seine Weise.

 

Die Tür steht offen. Walter Fürhapter (74) ist hinter der Käsetheke und fragt, ob man probieren wolle. Die Antwort kommt zeitverzögert. Käse war erwartbar, aber das? Bücherwände bis zur Decke, gemütliche Sofa-Ecke zum Chillen, Feuer im offenen Kamin? Klar, gerne kosten, später. Erst einmal in aller Ruhe umschauen. Eine Stiege führt nach oben zur Galerie mit Fotoausstellung und Alm-Kino. Fieberbrunner Imagefilme der 1960er-Jahre flimmern über den Bildschirm. Die sechs Kinosessel stammen ebenfalls aus dem vergangenen Jahrhundert, konkret aus dem alten Lichtspielhaus in Fieberbrunn.

 

Nein, die Wildalm ist kein Museum. Man schlendert vielmehr durch die Privaträume eines Mannes, der voller Ideen steckt. Und der sich in seiner zurückhaltenden Art still darüber freut, wenn Besucher sein Almjuwel entdecken, Überraschungsmomente erleben und sich Zeit zum Innehalten nehmen. Vielleicht noch ein wenig in der Bibliothek schmökern und am offenen Kamin verweilen, bevor es weiter im Tagesprogramm geht?

 

Stimmt, da war ja noch der Bergkäse. Der ist herrlich würzig – und unglaublich cremig. Dafür macht Walter Fürhapter nicht etwa seine Käse-Kunst verantwortlich, sondern in erster Linie den Rohstoff – die Milch der Wildalm-Kühe, die er sich von seinem Nachbarn abholt. Sie zeichnet sich durch einen sehr hohen Anteil an Fett und Eiweiß aus und durch insgesamt ausgewogene Inhaltsstoffe. Das bestätigen die Analysen der Molkerei. Der Grund für die guten Werte: „Die Wildalm ist absolut naturbelassen, hier wurde niemals künstlich gedüngt“, erklärt er.

 

Man ahnt es längst. Walter Fürhapter muss nicht, er will. An vier bis fünf Tagen die Woche verarbeitet der Geschäftsmann, der es inzwischen ruhiger angehen lässt, je rund 200 Liter Milch zu etwa 20 Kilo Käse. Er beginnt um 4.30 Uhr – damit er um 10 Uhr fertig ist, wenn die ersten Gäste kommen.

 

Regelmäßiger Besucher ist Hans Pletzenauer (61). Die beiden sind schon seit Jahrzehnten „Käseverrückte“, wie sie sich selbst nennen – und erinnern sich manchmal unterschiedlich an Details (ähnlich charmant wie in einem Streitgespräch alter Ehepaare). Hätte Walter ohne den Impuls von Hans jemals mit dem Käsen angefangen, geschweige denn die verlassene Almhütte aus dem 17. Jahrhundert zu neuem Leben erweckt? Egal. Auf jeden Fall haben sie gemeinsam eine Vision umgesetzt: „Die schönste Alm der Welt“.

 

Hans hatte die alte Hütte schon immer im Blick. Denn sie steht direkt neben der, in der er als Kind viele Sommer verbrachte – zusammen mit seinem Vater, der hier früher das Vieh versorgte. Die jetzigen Pächter liefern nicht nur die Milch zum Käsen, sie betreiben auch einen Almausschank.

 

Hans hat als Molkerei-Facharbeiter das nötige Know-how und half Walter anfangs beim Käsen. Eine Win-Win-Situation. Der eine hat den Ort seiner Kindheit zurückgewonnen, der andere eine neue Leidenschaft entdeckt. „Vor 80 werde ich nicht aufhören“, sagt Walter. „Was ich dann mache, muss ich mir noch überlegen.“

 

Man sieht die beiden oft auf dem Bänkchen vor der Wildalm sitzen. Walter im rosafarbenen Polo-Shirt, Hans mit Cowboy-Hut und Hirtenstab. Denn wenn er zu Besuch kommt, schaut er auch gleich nach den 120 Schafen, die im Wildseelodergebiet weiden und für die er inzwischen zuständig ist. „Schäfchenzählen hält fit“, sagt Hans. Käse ebenso, sogar im Winter. Dann schnallt sich Walter mindestens einmal die Woche die Tourenski an und überprüft den Reifeprozess.

 

Hinkommen: Mit der Bergbahn Fieberbrunn bis zum Lärchfilzkogel; von dort sind es 20 Minuten bis zur Wildalm. Wer vom Tal aus startet, wandert ca. zweieinhalb Stunden.